27.05.2006

Reine Artistik

Ein Mandant von mir muß ein wahrer Artist mit brillianter Körperbeherrschung und dem richtigen Gefühl für sich bewegende Gegenstände sein.

Er ist u. a. angeklagt, gemeinsam mit einem anderen jemanden vom Fahrrad geschubst zu haben. Das wäre ja für sich betrachtet nicht besonders erwähnenswert, wenn es nicht auf eine besondere Weise passiert sein soll.

Ein Bericht darüber ist etwas schwierig, weil das angebliche Opfer mindestens 3,5 verschiedene Versionen des Tatablaufs in das Verfahren gebracht hat, davon allein 2,5 in der Beweisaufnahme. Einmal will er mit dem Fahrrad langsam gefahren sein, mein Mandant sei an ihn herangetreten, hätte die Bremse am Lenker betätigt und ihm gleichzeitig einen Tritt in die Rippen versetzt. Dadurch sei er auf die Straße gestürzt, wo ein Golffahrer gerade noch bremsen konnte. Das war die Aktenversion.

In der Verhandlung variierte seine Geschichte dann insoweit, daß es mal eine wilde Verfolgungsjagd mit den Angeklagten gegeben hätte, wobei dann mein Mandant ihn eingeholt, während der Fahrt das Rad des Opfers mit der Bremse gebremst und ihm den ominösen Tritt in die Seite versetzt hätte. Wohlgemerkt: das alles bei voller Fahrt und ohne Sturz meines Mandanten!

Der andere Angeklagte sei auf der anderen Seite neben ihm gefahren und hätte dem ersten Angeklagten dabei geholfen. Merkwürdigerweise ist der zweite Angeklagte aber nicht mit auf die Straße gestürzt.

Wir Verteidiger waren uns ziemlich sicher, daß derartige Münchhausiaden nicht zu einer Verurteilung reichen würden, nachdem in den Plädoyers noch einmal plastisch dargestellt wurde, daß dies alles schon physikalisch ausgesprochen unwahrscheinlich bis unmöglich ist.

Weit gefehlt: das AG Braunschweig hat gnadenlos verurteilt und nur gemeint, daß es normal sei, wenn sich ein Opfer nicht mehr an alle Einzelheiten und den genauen Geschehensablauf erinnern würde. Dem stand auch nicht entgegen, daß das Gericht Aussagen des Zeugen bezüglich anderer Taten nicht geglaubt und deshalb teilweise freigesprochen hat.

Nun denn, Rechtsmittel ist eingelegt.

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