04.06.2010

Michael Tietz "Rattentanz"

Da man ja neben dem Beruf auch noch einen gewissen Ausgleich braucht, lese ich ausgesprochen gern. Ich werde das zum Anlaß nehmen und künftig in unregelmäßiger Folge über Bücher schreiben, die mich erfreut oder aber auch geärgert haben.

Den Anfang will ich mit einem Buch machen, auf das ich gespannt war. Ein Endzeitroman, der den Zerfall der Weltordnung und des sozialen Systems zum Thema hat. Ursache der Katastrophe sind halbgeniale Abiturienten, die mittels eines Virus die Rechner der Schule lahmlegen wollen. Dusseligerweise vertun sie sich aber bei dem Zeitzähler: statt nach 40 Tagen wird das Schadprogramm erst nach 400 Tagen aktiv. In der Zwischenzeit hat sich das Ding nun weltweit in so ziemlich alles eingenistet, was irgendwie computerisiert erreichbar ist. Bei der Aktivierung wird alles ausgeschaltet: kein Strom, kein Wasser, Flugzeuge fallen vom Himmel etc.

So weit, so interessant der Gedanke.

Der Autor will seine Leser in den Bann ziehen, in dem er die Figuren plastisch beschreibt. Leider geht er dabei arg holzschnittartig vor, so dass die Identifikationsfunktion kaum funktioniert. Ich war eher irritiert über die kaum nachvollziehbaren Handlungen, die manche Gestalten an den Tag legen.

Sehr störend empfand ich nach einer Weile auch die medizinische Attitüde, mit der der Autor lange Strecken seines Buches füllt. Da werden stark übergewichtige Hypochonder beschrieben, die aufgrund vorgestellten Sauerstoffmangels am Herzinfarkt versterben und überforderte Krankenschwestern, die dabei natürlich alles falsch machen. Eine Bankangestellte wird durch eine schließende Tresortür zerquetscht. Eine Autofahrerin wird unter einen LKW geschoben und verstirbt.

Ein Blick auf den Klappentext zeigt: der Verfasser ist gelernter Krankenpfleger. Ob man aber sein gesamtes berufliches Wissen in einen Roman packen muss, halte ich für zweifelhaft. Hier hat es dem Text deutlich geschadet.

Es werden dadurch Personen kurzfristig in das Rampenlicht gehoben, die für das Buch und die weitere Handlung keinen Nutzen haben. Sie bringen die Geschichte nicht voran. Natürlich ist es im Einzelfall tragisch, wenn eine Frau bei Eintritt des totalen Sytemausfalls unter Dusche steht und sich in der Dunkelheit des fensterlosen Badezimmers danach das Kinn an der Kloschüssel aufhaut. Ein so mies beginnender Tag kann nur als Leiche unter dem Heck eines LKW enden. Aber was soll das dem Buch bringen? Ich weiß es nicht.

Weiterhin konnte man der Vita des Autoren entnehmen, dass Rattentanz sein erster Roman ist. Sich für seinen Erstling das Ende der Welt vorzunehmen und dafür deutich über 800 Seiten vollzuschreiben, ist ein gewagtes Unterfangen. Auch erfahrene Schriftsteller haben sich an Werken solchen Umfangs schon verhoben.

Man braucht auch keine Schwarte in diesen Dimensionen zu produzieren, um das Thema Endzeit und Zerfall der Zivilisation brilliant und packend darzustellen. "Die Straße" von Cormac McCarthy zeigt, dass man das auf 250 Seiten hervorragend hinbekommen kann.

"Rattentanz" hat es nicht geschafft, leider.

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